Wildverbissuntersuchung

Wildverbissuntersuchung2019-02-11T17:25:55+00:00

Project Description

Dem Täter auf der Spur

Die Game Conservancy Deutschland (GCD) hat zusammen mit dem Labor Immekus untersucht, welches Wildtier wie stark welche Baumarten verbeißt. Und ist zu aufschlussreichen Erkenntnissen gekommen – denn nicht immer war’s das Rehwild. Geschäftsführender Direktor und Biologe Dr. Daniel Hoffmann berichtet zusammen mit Dieter Immekus. 

Die Game Conservancy Deutschland (GCD) widmet sich seit Gründung im Jahr 1990 der praktischen Anwendung moderner wissenschaftlicher Methoden und initiiert Pilotprojekte, um letztlich zu zeigen, dass Naturschutz durch die ökosystemgerechte Nutzung von Wald und Feld nicht nur möglich, sondern ökologisch wie ökonomisch eine Bereicherung darstellen kann, wenn ein Mindestgrad an Basiswissen um die Abläufe und Zusammenhänge in unseren Kulturlandschaftsökosystemen vorliegt. Das Thema Wildverbiss und Forstwirtschaft ist ein wesentliches Streitthema zwischen verschiedenen Akteuren und wird teilweise bis in die höchsten Entscheidungsgremien sehr emotional diskutiert. Zur
Erfassung des Wildverbisses gibt es mannigfaltige Ansätze von Verbissgutachten, deren methodische Ansätze unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten bisweilen sehr zu hinterfragen sind. Allen gemein ist in erster Linie die quantitative Erfassung von verbissenen Forstpflanzen, was in Verbindung mit der Gesamtzahl von vorhandenen Pflanzen auf einer Fläche auch durchaus forstwirtschaftlich relevante Ergebnisse liefern kann, wenn die zeitliche Entwicklung der Flächen nicht nur simpel linear prognostiziert, sondern real gemessen wird.

Von primitiv zu forensisch
Während sich aus wirtschaftlicher Sicht die Zahl verbissener Terminaltriebe als Messgröße geradezu aufdrängt, ist unter ökologischen Aspekten die Qualität des Verbisses von ebensolcher Bedeutung. Welche Wildtierart verbeißt die Pflanzen zu welcher Jahreszeit und vor allem aus welchem Grund? Dabei scheint es geradezu primitiv, die Zahl abgebissener Trieb-spitzen von Bäumen mit der Anzahl von Individuen einer Art in Zusammenhang zu bringen, denn rein massemäßig ist die Knospennahrung schon für ein Säugetier von der Größe eines Rehs kaum relevant. Um den wildbiologisch relevanten Fragestellungen künftig nachgehen zu können, hat die Game Conservancy in Zusammenarbeit mit dem Labor Immekus im Winterhalbjahr 2014/15 mit einem ausführlichen Methodentest begonnen, um die Verbissverursacher auch tatsächlich zu bestimmen. Bisher erfolgt die Bestimmung des Wildtieres, das einen Terminaltrieb verbissen hat, anhand von überlieferten Zeichnungen oder Fotografien und ist nicht zuletzt deutlich beeinflusst von der persönlichen Einstellung des Gutachters zum Thema Wald und Wild. Die Idee, dass ein Wiederkäuer aufgrund der Kauplatte im Oberkiefer mehr zupft als beißt, ist simpel und plausibel und wird daher auch ohne weiteres Hinterfragen übernommen. Wie wahrscheinlich ein solches Fraßbild jedoch ist, kann allerdings nicht einmal vermutet werden. Um den sicheren Artnachweis an einem verbissenen Terminaltrieb zu führen, bietet es sich in der Gegenwart an, sich der genetischen Methoden zu bedienen, wie sie in vielen Anwendungsbereichen bereits Standard und oft sogar nicht mehr wegzudenken sind. Beim Verbeißen hinterlässt jedes Tier sowohl Speichel als auch abgestoßene Schleimhautzellen, die in jedem Fall Spuren von DNA enthalten werden. Ob diese DNA-Spuren ausreichend sind und wie lange sie an der Verbissstelle haltbar und für die Analyse verwertbar sind, sollten die  Untersuchungen der GCD im Labor Immekus ergeben.

Den Tätern auf der Spur
In drei süddeutschen Untersuchungsgebieten wurden während der Winterhalbjahre 2014/15 und 2015/16 insgesamt 257 Proben von offensichtlich durch Wildtiere verbissenen Terminaltrieben von Baumpflanzen beprobt. Die Beprobung erfolgte in festgelegten Transekten, die alle zehn Tage begangen wurden. Sämtliche frisch verbissene Terminaltriebe wurden in Eppendorfgefäße überführt und ins Labor verbracht. Hierzu wurde der beschädigte Terminaltrieb in ein Eppendorfgefäß gestülpt und mit einer Schere, die zuvor mittels offener Flamme dekontaminiert wurde, abgeschnitten. Für jede Probe wurde ein Datenbogen erstellt, der die jeweils beprobte Pflanze eindeutig beschreiben kann. Um eine Mehrfachbeprobung auszuschließen, wurden die Pflanzen anschließend mit einem Band markiert.
Auf diese Weise konnten im ersten Untersuchungshalbjahr 2014/15 insgesamt 15 Proben gewonnen werden, im zweiten Jahr waren es schon 242. Die geringe Zahl im ersten Untersuchungszeitraum ist begründet durch einen verspäteten Untersuchungsbeginn und schneereicher Perioden in den Bergrevieren, die eine Beprobung unmöglich machten. Von den insgesamt 257 Proben konnte aus 246 Proben (95,7 %) intakte DNA gewonnen werden, die eine Analyse des Verbissverursachers zuließ. Es wurden in dieser ersten Machbarkeitsstudie sogenannte Primer eingesetzt, die artspezifisch Rehwild, Schwarzwild, Eichhörnchen oder Feldhase nachweisen können. Intakte DNA, die nicht einer der genannten Spezies zuzuordnen ist, wird derzeit noch veränderungsfrei gelagert für eventuelle Folgeuntersuchungen. Proben, die zu wenig oder denaturierte DNA enthalten, wurden als „unbrauchbar“ (n = 11) gekennzeichnet.

Eichhörnchen haben laut den untersuchten Stichproben viermal so viel verbissen wie der Hase. Bild: pixabay
Verbissbild durch Eichhörnchen. Bild: Dieter Immekus
Verbissbild durch Eichhörnchen. Bild: Dieter Immekus
Verbissbild durch Eichhörnchen. Bild: Dieter Immekus
Laut Untersuchung stehen Feldhase er gar nicht so sehr auf Knospenäsung. Ein Beispiel für sein Verbissbild zeigt die nächste Aufnahme. Bild: pixabay
Verbissbild durch Feldhase. Bild: Dieter Immekus
Schwarzwild verbeisst ebenfalls – entgegen vieler Meinungen. Im Untersuchungsgebiet gingen 17,5 Prozent der verbissenen Leittrieben auf Sauen zurück. Bild:pixabay
Das Bild zeigt einen von Sauen verbissenen Terminaltrieb. Bild: Dieter Immekus
Rehwild wird meist als der Hauptverdächtige für massiven Verbiss angesehen. Oft sind es aber ganz andere Wildarten. Bild: Dr. Nina Krüger
Terminaltrieb nach Rehwildverbiss. Bild: Dieter Immekus
Terminaltrieb nach Rehwildverbiss. Bild: Dieter Immekus
Terminaltrieb nach Rehwildverbiss. Bild: Dieter Immekus

Verbeißende Wildarten
Die einzelnen Untersuchungsgebiete unterscheiden sich nicht erkennbar bezüglich der Bedeutung einzelner Wildtiere am Verbissgeschehen (siehe Tabelle 1). Alle verbissenen Terminaltriebe wurden in den Untersuchungstransekten unter anderem auch der Baumart zugeordnet, woraus sich eine deutliche Dominanz der Weißtanne ergibt (siehe Abbildung 1). Der dominierende Verbiss bei der Weißtanne findet in vergleichbarem Umfang in allen Untersuchungsgebieten statt (siehe Tabelle 3) und ist auch für die verschiedenen festgestellten Tierarten festzustellen. Somit bevorzugt nicht nur das Rehwild die Weißtanne, sondern auch die übrigen Arten (siehe Tabelle 2). Dies kann als ein Indiz dahingehend gewertet werden, dass nicht die Nahrungsaufnahme im Vordergrund der Knospenäsung steht, sondern dass hier bestimmte Inhaltsstoffe selektiv aufgenommen werden.

Warum Weißtanne?
Die hohe Bedeutung der Tanne als Verbissgehölz könnte nach schlichter Betrachtung der Zahlen auch aus der Dominanz der Weißtanne in den Untersuchungstransekten herrühren. Daher wurde geprüft, ob der Verbiss der Weißtanne tatsächlich eine Präferenz darstellt oder ob die Verbisshäufigkeit sich an den vorhandenen Baumarten in den Untersuchungsgebieten orientiert. Zur Überprüfung dieser Fragestellung wurden zunächst in dem Untersuchungsgebiet Allgäu 1 drei Transekte bezüglich ihrer Baumartenzusammensetzung untersucht. Entgegen der Erwartungswerte aus der Verbissstudie dominiert im realen Forstpflanzenbestand die Fichte mit etwa 63 Prozent im Jungwuchs (siehe Abbildung 2). Somit kann für den Wildverbiss in den Untersuchungsgebieten von einer deutlichen Verbisspräferenz für die Weißtanne ausgegangen werden.

Wann verbissen wird
Der Zeitpunkt des Verbisses wurde im Rahmen der Auswertungen zunächst auf Ebene der Monate ausgewertet. Hier wird bereits deutlich, dass der Verbiss im Wesentlichen ab Januar beginnt und bis in die Spätwintermonate anhält. Eine detailliertere Auswertung erfolgt zunächst aufgrund der Stichprobengröße nur für das Reh- und Schwarzwild (siehe Abbildung 3). Bei näherer Betrachtung scheint eine Differenzierung des Verbisszeitpunktes nach Monaten jedoch nicht ausreichend präzise. Werden die Ergebnisse nach Dekaden zusammengefasst, erfolgt mehr als 50 Prozent des gesamten beobachteten Terminaltriebverbisses zwischen dem 20. Januar und dem 10. Februar bis spätestens dem 15. Februar. Die Ursachen für diese Konzentration des Wildverbisses insbesondere durch Rehwild können derzeit nicht beantwortet werden. Es konnte bisher jedoch ausgeschlossen werden, dass der erhöhte Verbiss in diesem engen Zeitfenster aufgrund besonderer Wetterlagen wie ungewöhnlich hohe Schneelage hervorgerufen wurde.

Verbissene Baumarten: Die Grafik zeigt, welche Baumarten in welchem Umfang verbissen wurden. Mit Abstand am meisten betroffen war die Weißtanne: von 257 untersuchten Proben 237 Mal. In Prozent ausgedrückt: über 92 Prozent des in den drei Untersuchungsgebieten erfolgten Verbisses betrafen allein diese Baumart.
Verteilung der Baumarten: Die Grafik gibt den Bestand an naturverjüngten Forstpflanzen auf drei Transekten im Untersuchungsgebiet Allgäu 1 (Hochrechnung auf Pflanzen/ha) wieder. Nicht die stark verbissene Tanne ist Hauptbaumart, sondern die Fichte.
Zeitpunkt des Verbisses: Die Grafik zeigt die Verteilung des festgestellten Verbisses durch Schwarz- und Rehwild auf die einzelnen Monate. Der Hauptverbiss fällt in die Wintermonate:

Faktor Jagd und Fütterung
Es kann aufgrund der geringen Biomasse einzelner Knospen nicht davon ausgegangen werden, dass Knospenäsung einen bedeutenden Beitrag zur Ernährung des Wildes hat. Es kann somit die Hypothese aufgestellt werden, dass die winterliche Aufnahme von Knospen, in dieser Untersuchung vor allem die der Weißtanne, eine physiologische Bedeutung für den Organismus hat. Potenzielle Faktoren, die den Wildverbiss beeinflussen, wären Jagdaktivität und Fütterung. Letztere könnte insbesondere dann einen Einfluss haben, wenn nicht artgerechte Futtermittel vorgelegt werden, die eine Kompensation bzw. Regulation des Stoffhaushalts durch zum Beispiel Knospen erfordern würden. Jagd könnte gegebenenfalls dann einen Einfluss haben, wenn sie aufgrund ihrer Intensität eine Verlagerung der Aktivitätszentren und -zeiten des Wildes bewirkt und daraus eine Konzentration in bestimmten Bereichen ihres Lebensraums resultiert. Weiterhin verursacht unsachgemäße Jagd Stress bei Wildtieren, was zu einer erhöhten Parasitenbelastung führen kann. Im Gebiet Allgäu 1 wird der Abschussplan auf Rehwild bereits bis Anfang Dezember erfüllt, so dass eine erhöhte Jagdaktivität als Verursacher des sprunghaft angestiegenen Wildverbisses Ende Januar ausgeschlossen werden kann. Ebenso nicht in zeitliche Verbindung mit dem stark ansteigenden Verbiss Ende Januar zu bringen ist der Beginn der Notzeitfütterung in den Allgäuer Revieren. Im Revier Tettnang wird keine Fütterung durchgeführt, so dass der Einfluss der Fütterung auf den Wildverbiss als Ursache weitgehend schon nach bisheriger Datenlage ausgeschlossen werden kann.

Folgeuntersuchungen
Die Arbeiten der GCD werden aktuell und gegebenenfalls auch in den Folgejahren fortgesetzt und auch räumlich ausgeweitet, um andere Baumartenzusammensetzungen bezüglich des Wildverbisses zu analysieren. Ebenso bleibt zu beantworten, ob die in den bisherigen Untersuchungen sehr eng gefasste Periode mit dem intensivsten Verbiss Zufall war oder ob sich dies reproduzieren lässt. Die Inhaltsstoffe der Knospen werden nun analysiert, um deren potenziell physiologische Bedeutung für die Wildtiere in der kalten Jahreszeit beschreiben zu können. Da in der Regel ausreichend DNA an den Knospen anhaftet, um die Arten zu bestimmen, soll in der Fortführung weiter untersucht werden, ob sich der Verbiss auf einzelne bis einige wenige Individuen beschränkt oder ob weitgehend alle Individuen der Lokalpopulation an dem Verbissgeschehen beteiligt sind. Sollten nur einzelne Individuen für den Verbiss verantwortlich sein, wird der potenzielle Zusammenhang zwischen Wildverbiss und Wilddichte intensiver zu diskutieren sein. Die bisherigen Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass die Knospenäsung eine physiologische Notwendigkeit darstellen könnte und weniger als Ernährungsgrundlage zu sehen ist. Geht man davon aus, dass bestimmte Inhaltsstoffe von Wildtieren in den Spätwintermonaten in besonderem Umfang benötigt werden, könnten diese gegebenenfalls ersetzt werden, um so den Verbiss an Forstpflanzen insgesamt und nachhaltig zu reduzieren. Weiterhin ist denkbar, dass bestimmte Inhaltsstoffe von Baumknospen anti-parasitäre Wirkung haben. Sollte der Parasitendruck in den Wintermonaten ansteigen, könnte die Aufnahme von Knospen als notwendig für die natürliche Gesunderhaltung der Wildtierpopulation zu erachten sein. Die GCD bleibt am Ball.

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