Bejagung des Feldhasen – zeitgemäß oder überholt?

Bejagung des Feldhasen – zeitgemäß oder überholt?

Bejagungsstopp ist keine Schutzmaßnahme

Im Interview

Dr. Daniel Hoffmann

Der geschäftsführende Direktor der Game Conservancy Deutschland promovierte über die Populations­dynamik und -entwicklung des Feldhasen in Schleswig-Holstein im Beziehungsgefüge von Klima, Prädation und Lebensraum.

Frage: Gibt es dort mehr Feldhasen, wo sie bejagt werden?

Dr. Daniel Hoffmann: Diese Frage kann auch als Feststellung formuliert werden, denn statistisch lässt sich dieser Zusammenhang signifikant nachweisen. Allerdings liegt die Begründung nicht im Offensichtlichen, denn größere Hasenstrecken werden fast ausschließlich dort erlegt, wo eine stabile und überdurchschnittlich hohe Population vorhanden ist. In Gebieten mit wenigen Hasen entfällt die klassische Treibjagd, und Einzelabschüsse sind in der Gesamtstichprobe kaum relevant. Daher kann die Jagdstrecke folgerichtig nur Gebiete mit Hasenvorkommen ausweisen, wo tatsächlich Jagd durchgeführt wird. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass in Gebieten ohne Hasenjagd keine vorkämen. Dass die Jagd als fördernder Faktor der Hasenpopulation auszuweisen wäre, ist anhand der in der Regel undifferenziert vorliegenden Jagdstreckenstatistik nicht abzuleiten. Jagdstrecken sind stets mit Vorsicht zu interpretieren. Ist die Jagdintensität in mehreren Gebieten oder Revieren auf vergleichbarem Level, können diese direkten Vergleiche Hinweise zur relativen Häufigkeit in den Herbst- und Wintermonaten liefern. Dies ist für das Verständnis der Populationsdynamik des Hasen aber unzureichend, denn es fehlt jede Aussagemöglichkeit über Höhe der Stammbesätze im Frühjahr und dem Reproduktionserfolg. Selbst die langen Zeitreihen der Feldhasenstrecken in Deutschland geben nur bedingt Information über die Entwicklung. Wenn 1980 als Beispiel noch 70 von 100 Revieren eine Niederwildjagd durchgeführt haben, sind es 2015 möglicherweise nur noch fünf. Die Ergebnisse 1980 zu 2015 in Summe zu vergleichen, wäre also reine Scharlatanerie.

Frage: Fördert die Bejagung die Besatzhöhe des Hasen?

Dr. Daniel Hoffmann: Jagd kann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen die Besatzhöhe von Populationen fördern, wenn zum Beispiel das Geschlechterverhältnis vollständig verschoben wäre. Dies setzt jedoch eine derart hohe Professionalität und Kenntnis der Populationszusammensetzung voraus, dass es gewöhnlich nicht durchgeführt werden kann. Die Bejagung kann also grundsätzlich keinen Beitrag zur Steigerung des Besatzes leis-ten, kann aber die Reproduktionsrate erhöhen. Das Ganze ist sehr komplex, und unter Bedingungen mäßiger Lebensraumverfügbarkeit und hoher Präsenz von generalistischen Beutegreifern lässt sich dieser Effekt kaum nachweisen. Durch Ar-
beiten auf den Nordseeinseln Föhr und Pellworm, auf denen keine Raubsäuger vorkommen und die landschaftlichen
Voraussetzungen vergleichbar sind bzw. waren, konnte statistisch belegt werden, dass bei höherer Jagdintensität die Nettoreproduktion im Folgejahr deutlich höher lag. Die Besatzdichte blieb davon jedoch unberührt. Fitness einzelner Individuen und Aufzuchterfolg können demnach durch Jagd gesteigert werden, aber es darf keine Überbejagung stattfinden. Jede Fläche nur einmal abtreiben je Saison sollte als Grundregel immer gelten. Der einzige nachweisbare Hinweis dafür, dass Jagd einen direkten positiven Effekt haben kann, ist, dass alte Häsinnen weniger Junghasen setzen als jüngere. Durch Jagd wird eine Population verjüngt, so dass in gewisser Weise die Reproduktion gefördert werden kann. Das heißt aber nicht, dass die Frühjahrsbesätze dadurch ansteigen, denn hier sind Klima, Landnutzung und Beutegreifer als deutlich stärker wirkende und überlagernde Faktoren wirksam.

Frage: Jagd fördert also die Reproduktion. Müsste demnach nicht jedes Revier Hasen bejagen?

Dr. Daniel Hoffmann: Das wäre eine schöne und einfache Lösung! Leider gehört dies zur Märchenwelt mancher Tier- und Naturschutzverbände. Schwarzwild, Füchse und Rehwild sollen ja auch deshalb so zahlreich sein, weil die so stark bejagt werden. Im Umkehrschluss müsste man dann tatsächlich nur die gefährdeten Arten bejagen, und sie würden dann wieder zahlreicher. Nicht jedes Revier soll Hasen bejagen, aber jedes Revier bräuchte mindestens einen Jäger, der sich um Lebensraumverbesserung und intensive Raubwildjagd bemüht. Dann profitieren nicht nur der Feldhase, sondern alle Arten der Agrarlandschaft.

Frage: Sollte man den Hasen nur in einem Teil des Reviers bejagen oder auf ganzer Fläche?

Dr. Daniel Hoffmann: Das ist letztlich egal. Einen einzelnen Küchenhasen kann man nach Gelegenheit erlegen, aber für Treibjagden sollte gelten, dass jede Fläche nur einmal getrieben wird. Ob dies im gesamten Revier oder nur auf Teilflächen stattfinden soll, ist nachrangig.

Frage: Gibt es eine untere Besatzdichte, ab der man den Hasen nicht mehr bejagen sollte?

Dr. Daniel Hoffmann: Die Diskussion um eine untere Besatzdichte halte ich für unangebracht und sinnbefreit. Auch der einzeln erlegte Kugelhase ist eine Art der Bejagung, die in fast allen Revieren ohne Wirkung für die Populationsentwicklung durchgeführt werden kann. Wenn die Feldhasenpopulation so geschwächt wäre, dass selbst die Erlegung eines einzelnen Tieres populationsgefährdend ist, wird die Art dort ohnehin aussterben. Hasen sind sogenannte r-Strategen, das heißt, sie können in der Regel Verluste durch gesteigerte Reproduktionserfolge ausgleichen. Damit streifen wir die These der kompensatorischen Sterblichkeit, die vereinfacht besagt, dass die Entnahme von Individuen durch Jagd durch eine geringere natürliche Sterblichkeit kompensiert wird. Diese These lässt sich auch beim Feldhasen stützen. Entscheidend ist, dass Jagd nach abgeschlossener Reproduktionszeit durchgeführt wird. Für permanent hohe Abgänge durch generalistische Beutegreifer lässt sich entgegen den Wunschvorstellungen mancher die These jedoch nicht anwenden, da Beutegreiferverluste am stärksten während der Reproduktionszeit wirken, wodurch die Kompensation von Verlusten nur noch beschränkt bis gar nicht mehr möglich
ist. Um zu den klassischen Treibjagden
zu kommen, muss sich ein Revierinhaber die Fragen stellen, ob 50 eingeladene Gäste mit zwei erlegten Feldhasen zufrieden sind und ob der Aufwand der Organisation noch im Verhältnis steht. Schaden wird der lokalen Hasenpopulation durch den Treibjagdtag kaum entstehen, und zwar unabhängig, ob die Besätze hoch oder niedrig sind. Wer seine Schutzbemühungen um den Feldhasen darin beschränkt, keinen Hasen mehr zu jagen, leistet nicht den geringsten Beitrag zur Förderung der Art.

Hase im Winter.
Aufmerksamer Hase.
Junghase im Feld.
Junghase wurde mit einem Sender ausgestattet.

Frage: Welchen Prozentsatz des Hasenbesatzes kann man abschöpfen, gibt es diesbezüglich ein Optimum?

Dr. Daniel Hoffmann: Das ist sehr von den ökologischen Rahmenbedingungen abhängig und kann nicht pauschal beantwortet werden. In jedem Fall setzt es zwingend voraus, dass man „seinen“ Hasenbesatz durch langfristige Zählungen einigermaßen einschätzen kann. Es hängt viel davon ab, ob Raubwildbejagung und Lebensraumgestaltung erfolgreich umgesetzt werden. Ohne effektive hegerische Arbeit kann zehn Prozent des Herbstbesatzes vielleicht als Richtgröße gelten. Bei engagierter Arbeit und entsprechend gesteigerter Populationsdichte sind auch 20 bis 30 Prozent des Herbstbesatzes eine vertretbare Entnahmerate.

Frage: Gibt es in diesem Jahr genauso viele Hasen wie sonst auch?

Dr. Daniel Hoffmann: Aktuell deutet wenig darauf hin, dass das Jahr 2015 erheblich abweichende Ergebnisse von den Vorjahren erbringen wird. Die neuen Greeningmaßnahmen werden sich, wenn sie es überhaupt tun werden, noch nicht wesentlich auf die Populationen auswir-ken. Die klimatischen Bedingungen waren aufgrund der Trockenheit grundsätzlich gut, jedoch können sich auch regelrechte Dürreperioden regional negativ ausgewirkt haben. Das werden die Zählungen im Herbst zeigen müssen.

Frage: Welche Jahre sind besonders gute Hasenjahre?

Dr. Daniel Hoffmann: Gute Hasenjahre definieren sich dadurch, dass in einer Region gemessen am Durchschnitt der Vorjahre eine relativ hohe Nettoreproduktion realisiert werden konnte und somit die Herbst-/Winterbesätze überdurchschnittlich hoch sind. Geht man davon aus, dass in den zu beurteilenden und zu vergleichenden Jahren ähnliche Lebensraumbedingungen herrschten und keine wesentlichen Veränderungen des Drucks durch generalistische Beutegreifer eingetreten sind, kann vor allem die Niederschlagsverteilung als dominierender Faktor betrachtet werden. Geringe Niederschläge in den Perioden von Ende Februar bis Anfang März, von Mitte April bis Mitte Mai und auch um Mitte Juni wirken sich positiv auf die Überlebensrate von Junghasen aus, und insbesondere die beiden frühen Perioden bringen das Gros an Junghasen, die bis in den Herbst hinein überleben. Dies sind in Mitteleuropa die drei Hauptsetzzeiten des Hasen, was nicht bedeutet, dass auch zu anderen und vor allem späteren Zeitpunkten noch Junghasen gefunden werden und es je nach Breitengrad auch zeitliche Verschiebungen gibt. Frost und Schnee Ende Februar sind kein Problem für die frisch gesetzten Junghasen, aber bei nasskalter Witterung verenden die meisten von ihnen. Ebenso sind hohe und mehrtägige Niederschläge in April und Mai statistisch nachweisbare Negativfaktoren, die sich in niedrigeren Herbstdichten zeigen. Ein gutes oder ein schlechtes Hasenjahr hat dabei kaum Bedeutung für die Populationsdichte in dem Folgejahr. Erst mehrere Jahre in Folge mit klimatisch positiven oder negativen Ausprägungen wirken sich messbar bezüglich
der Besatzhöhe aus. Verändern sich die anderen Parameter im Ökosystem in dieser Zeit nicht, fällt oder steigt die Besatzhöhe bei „normalen“ Witterungsbedingungen jedoch wieder auf den Ursprungszustand.

 Dr. Hoffmann, vielen Dank für das Beantworten unserer Fragen.

2019-01-11T19:18:26+00:00