Insektenschwund – die gefährdete Vielfalt

Insektenschwund – die gefährdete Vielfalt

Bedrohung der Biodiversität

Durch das grundlegende Interesse der Game Conservancy Deutschland (GCD) an Studien der angewandten Wissenschaften über Biodiversität war schon kurz nach Erscheinen des Artikels der Entomologischen Gesellschaft Krefeld (Sorg et al. 2013) bekannt, dass offenkundig bedeutende Rückgänge der Insektenfauna aufgetreten sind.

Beschrieben wurden diese Rückgänge anhand des Masseverlusts fliegender Insekten an zwei Fallenstandorten im Intervall der beiden
Erfassungsjahre 1989 und 2013. Das Untersuchungsgebiet stellt das im Jahr 2005 als Naturschutzgebiet ausgewiesene „Orbroicher Bruch“ (Raum Krefeld) mit einer Flächenausdehnung von etwa 100 Hektar dar (Thies & Malschützky 2007). In einer Pilotstudie zum Vorkommen von Schmetterlingen (Papilionoidea) und Widderchen (Zygaenidae; Familie der Schmetterlinge (Nachtfalter)) im Oettinger Forst wurde im Jahr 2001 durch die GCD ebenfalls eine wichtige Basis für ein Langzeitmonitoring gelegt. In der Untersuchung wurden insgesamt 38 Teilflächen auf Vorkommen und Häufigkeit der benannten Faltergruppen untersucht. Ausgewählt wurden Waldflächen verschiedenen Alters- und Artenzusammensetzungen, Windwurfflächen und Wiesen, die weiter differenziert wurden in gemulchte und zur Heuernte genutzte. Als Sonderstandorte konnten zwei ehemalige Steinbrüche wie eine Sandkuhle mit untersucht werden. Keine der Flächen wurde mit Pestiziden behandelt.

Totholz ist Lebensraum für zahlreiche Insekten. Und Windwurf- und Sukzessionsflächen weisen eine deutlich höhere Artenvielfalt auf als lichtarme Naturverjüngungen. Quelle: Pixabay
Bienen sind wichtige Bestäuber. Sie brauchen eine abwechslungsreiche Landschaft. Quelle: Pixabay
Inselten spielen im spielen im Ökosystem eine wichtige Rolle. Quelle: Pixabay
Insekten sind für viele andere Lebewesen eine wichtige Nahrungsgrundlage. Quelle: Pixabay

Im Wirtschaftswald
Insgesamt wurden dort in der Studie 42 Schmetterlingsarten sowie vier Widderchen nachgewiesen. Die Fauna der Tagfalter im untersuchten Oettinger Forst kann im Vergleich zu anderen Arbeiten als hoch bezeichnet werden. Sie unterstreicht die Vermutung, dass für die teilweise hohen
Dichten geschützter und seltener Arten in diesem bewirtschafteten Wald auch
Flächen ohne gesetzgeberischen Schutzstatus von hoher Bedeutung für die Art-
erhaltung von Insekten, repräsentativ hier der Schmetterlinge, sein können (Schmitt 2003). Die höchsten Schmetterlingsdichten wurden auf den Windwurf- und Holzernteflächen sowie den gemähten Wiesen gefunden. Die durch Windwurf und Holzeinschlag „gestörten“ Waldbereiche wiesen jedoch neben dem hohen Artenvorkommen auch die höchsten Werte der Biodiversität auf. Die Habitatausstattung wie die Nahrungsverfügbarkeit auf den gestörten Sukzessionsflächen des Waldes, seien sie hervorgerufen durch Windwurf oder Ernte, bieten somit nach den vorgelegten Ergebnissen gute Lebensgrundlagen für eine artenreiche Schmetterlingsfauna. Dies sollte die Verantwortlichen für die Bewirtschaftungspraxis der Wälder zum Nachdenken anregen. Gerade selten gewordene Schmetterlingsarten sind auf lichtdurchfluteten Flächen und Sukzessionen angewiesen. Wälder, die zwar durch Naturverjüngung entstanden oder in Entstehung begriffen sind, bieten solche Störungsflächen mit erhöhtem Lichteinfall am Boden nicht oder nur in unzureichender Weise. Dem Waldbau wie dem Waldschutz sollte entsprechend zum Offenland eine besondere Schutzfunktion für ein möglichst umfangreiches Insektenspektrum zuerkannt werden. Reine Forstpflanzenbestände, ob unter Bewirtschaftung oder im Prozessschutz, werden ohne Störungsflächen solche Beiträge zur Biodiversität nicht leisten können.

Wirtschaft schützt
Weiterhin interessant für ein Habitatmanagement auch über die Wälder hinaus sind die Befunde der Arbeit von Schmitt (2003) für die Pflege und Bewirtschaftung des Grünlands. Im Spätsommer gemulchte und ungedüngte Wiesen weisen nach den ausgearbeiteten Resultaten eine geringere Artenvielfalt der Schmetterlinge auf als Wiesen, die gedüngt und ein- bis zweimal pro Jahr gemäht werden. Eine Beweidung von Grünland findet im Untersuchungsgebiet nicht statt. Die Erhebungen zur Vielfalt der Schmetterlinge im Oettinger Forst soll in nächster Zukunft wiederholt werden. Neben den Schmetterlingen hat die Game Conservancy Deutschland in diesem bewirtschafteten Wald auch die höheren Pflanzen und Moose, die Vögel und die Pilze untersuchen lassen. Die Wie-
derholungskartierungen der Vegetation (Hofmann et al. 2017) sowie der Vogelwelt (Sombrutzki et al.) sind bereits in den Jahren 2015 bis 2017 erfolgt. Die GCD dürfte damit über eine einzigartige Dokumentation der Entwicklung von Artenvielfalt in bewirtschafteten Wäldern Deutschlands verfügen.

Im Naturschutzgebiet
Mit dem Erscheinen eines weiteren Artikels im Jahr 2017 (Hallmann et al. 2017) erlangte die Arbeit im Orbroicher Bruch eine unerwartet größere Bekanntheit, da in zahlreichen Medien die Zahlen und Arbeiten im Orbroicher Bruch und dessen weiteren Umfelds aufbereitet wurden. An 63 verschiedenen Standorten, die während der Vegetationsperioden der Jahre 1989 bis 2016 untersucht wurden, konnten Hallmann und Kollegen einen Rückgang fliegender Insekten von annähernd 80 Prozent beobachten. Fluginsekten neigen zu jährlich starken Populationsschwankungen, daher ist es zum Zwecke eines echten Populationsmonitorings grundsätzlich erforderlich, eine jährliche Erfassung oder mindestens in kürzeren Zeitintervallen zu arbeiten. Zufällige Ereignisse können sonst die angenommene Entwicklung erheblich dominieren und zu Fehlinterpretationen führen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die beiden Jahre 1989 und 2013 in der Arbeit von Hallmann et al. (2017) einmal ein besonders gutes Insektenjahr und einmal ein be-sonders schlechtes hätten sein können. Dies nachzuweisen, ist ohne ein jährliches Monitoring kaum möglich, wenn keinerlei Referenzdaten vorhanden sind. Trotz dieses Kritikpunkts kann ein erheblicher Rückgang der Fluginsektenfauna nicht infrage gestellt werden. Umso erstaunlicher wird dieser Rückgang, wenn in der Diskussion berücksichtigt wird, dass das Orbroicher Bruch seit dem Jahr 2005 als Naturschutzgebiet mit besonderen Maßnahmen der Habitatpflege und Extensivierung ausgewiesen wurde. Interpretationen des anhaltend negativen Trends der Masse flugfähiger Insekten in der Region Krefeld können sich aufgrund der Gesamtdatenlage nur theoretisch führen lassen.

Rückgang trotz Schutz
Um Kausalzusammenhänge darzustellen, bedürfte es eines wesentlich komplexeren Versuchsdesigns. Festzustellen ist jedoch, dass die Ausweisung als Naturschutzgebiet mit entsprechender Verordnung über das Gesamtareal von etwa 100 Hektar mit re-lativ geringer Walddeckung nicht geeignet scheint, eine intakte und biomassenreiche Insektenfauna zu erhalten oder wiederherzustellen. Das Einzugsgebiet flugfähiger Insekten könnte potenziell aber wesentlich größer sein, und somit wäre das weite Umfeld des Orbroicher Bruchs als landwirtschaftlich intensiv genutzte Region mit in die Betrachtung einzubeziehen. Im Bruch selbst gibt es Hinweise, dass zum Beispiel keine Beweidung mehr auf den Grünlandflächen stattfindet, dass erhebliche Probleme mit Jakobskreuzkraut auf den ungepflegten Grünländereien des Naturschutzgebiets bestehen, dass in jüngerer Vergangenheit im Nahbereich des Schutzgebiets ein weitläufiges Wohngebiet entstanden ist und dass große Hallen zu landwirtschaftlichen und gewerblichen Zwecken aufgebaut worden sind. Um Krefeld spielt der Gemüseanbau (zunehmend unter Folie und in Gewächshäusern) eine besondere Rolle auf stets größer werdenden Flächen, und in der Viehhaltung liegt die Zahl der Großvieheinheiten je Betrieb deutlich über dem Landesdurchschnitt von Nordrhein-Westfalen, was ebenso auf eine intensive Stallhaltung hindeutet wie auch der geringe Flächenanteil der Weiden gegenüber der reinen Wiesennutzung.

Keine Brache, Keine Insekten
Der Standort Krefeld als Umfeld des Orbroicher Bruchs ist tendenziell nicht repräsentativ für andere Regionen, obgleich die Intensivierungstendenzen in der Landwirtschaft regionenübergreifend sind. Um in Nordrhein-Westfalen zu bleiben, hat sich die Fläche der Brachen in den letzten zwei Jahrzehnten um mehr als 80 Prozent verringert, wobei ein sprunghafter Brachflächenverlust zwischen 2007 und 2010 eingetreten ist, was auf die geänderten Agrarsubventionsregeln zurückzuführen ist. Im gleichen Zeitraum von zwei Jahrzehnten ist die für die Grünernte beanspruchte Fläche mit ihren angebauten Pflanzen wie Silomais oder Ackergras um fast 50 Prozent angewachsen, wobei von 2007 bis heute ein sprunghafter Anstieg um fast 30 Prozent nachzuverfolgen ist.

Ursache Bleibt ungeklärt

Effizienzsteigerungen und Intensivierungen in der Landwirtschaft lassen sich nicht nur aus den beiden Nutzungsgruppen Brache und Grünpflanzennutzung ableiten, wobei hier besonders augenscheinliche Veränderungen eingetreten sind – bei weitem nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Mit diesem Hintergrundwissen der Entwicklung der Landschaft ist ein linear rückläufiger Trend, wie ihn Hallmann et al. (2017) zeichnen, mindestens zu hinterfragen. Aufgrund der vieljährigen Erfassungslücken lässt sich die tatsächliche Situation nur bedingt beschreiben, aber bereits die gelieferten Daten lassen zumindest optisch einen stufenweisen Rückgang der flugfähigen Insekten wahrscheinlich werden. Rückgänge in den 1990er Jahren münden in eine Phase der Stagnation bis zu einem nicht näher zu bestimmenden Zeitraum zwischen 2005 und 2010. Danach wird ein weiterer deutlicher Rückgang wieder wahrscheinlich.

2019-01-07T18:03:30+00:00Januar 7th, 2019|Allgemein|