Beitrag HIRSCH&CO „Rotwild sichtbar machen“ für die Veröffentlichung auf der Webseite von Game Conservancy Deutschland Text: Christine Fischer
Man sollte meinen, dass ein Wald mit Wild ein gemeinschaftlicher und unstrittiger Konsens ist. In Wahrheit wird jedoch um das richtige Verhältnis seit vielen Jahren erbittert gerungen. Der Diskurs verläuft dabei hochemotional und ist teilweise sogar ideologisch geprägt. Umso wichtiger ist eine wissensbasierte Herangehensweise sowie eine faktenorientierte Handlungsinitiative. Ein Beispiel aus der Praxis bildet diesen Anspruch deutlich ab: Berufsjäger und Forstwart Hubert Billiani zeigt in Bayern auf überzeugende Art und Weise, wie ein gesunder Wald im Einklang mit einem vitalen Wildbestand funktionieren kann. Der Schlüssel zum Erfolg sind sichtbare Wildbestände, die stressfrei ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen können und lieber auf grünen Wiesen äsen, als Bäume zu schälen.
Seit 35 Jahren steht der gebürtige Steirer Hubert Billiani im Dienste des Großherzogs von Luxemburg und trägt die Verantwortung für dessen 1.300 Hektar großes Revier in der Vorderriss bei Lenggries in Oberbayern. Das Wohlergehen der Wildtiere ist für Billiani eine Herzensangelegenheit – Er ist Mitbegründer des Netzwerk Wald mit Wild, das sich auf gesellschafts-politischer Ebene für die Sensibilisierung der Bedürfnisse des Wildes einsetzt.
Das Rotwild ist bei Billiani diejenige Wildart, die am umfassendsten und aufwändigsten bewirtschaftet werden muss. Ohne ein nachhaltiges, ganzheitliches und über Jahrzehnte erprobtes Konzept, das durch die Anpassung kleiner und großer Stellschrauben kontinuierlich optimiert wird, könnten weder waldbauliche noch jagdwirtschaftliche Ziele erreicht werden.
Lebensraumgestaltung an den Bedürfnissen des Wildes ausrichten
Im Zentrum von Billianis Wirken steht die Gestaltung des Lebensraumes der Wildtiere. Durch jahrelange harte Arbeit und intelligente Strukturen hat er in seinem Revier das erreicht, was alle wollen: einen gesunden Wald mit natürlicher Verjüngung in Koexistenz mit gesunden, tagaktiven Wildtieren, die in intakten Sozialstrukturen leben.
Um dies zu erreichen, müssen drei ineinandergreifende Grundelemente vorhanden sein: Äsungsflächen, Ruhe und die richtige Bejagung. Nur wenn das Rotwild sich sicher genug fühlt, wird es tagsüber seinen Einstand verlassen und offene Äsungsflächen aufsuchen. Dafür ist eine stressfreie und weitgehend ungestörte Umgebung notwendig. Ist diese Voraussetzung erfüllt, können Verbiss und Schäle nachhaltig reduziert werden, denn je mehr Zeit das Wild auf der grünen Wiese verbringt, desto weniger Fraßeinwirkungen können im Wald entstehen.
Wertvolle Äsungsflächen
Als Billiani das Revier übernommen hatte, gab es weder Äsungsflächen noch bewirtschaftete Almen. Beides ist jedoch wichtig, um frisch nachwachsende, wertvolle Äsung für das Wild zu generieren. Ursprünglich waren sieben Almen vorhanden. Seit über 100 Jahren fand allerdings kein Viehauftrieb mehr statt. Der Verlust der Weidebewirtschaftung hat dabei einen entscheidenden Einfluss auf die Offenhaltung des Landschaftsraumes und die Erhaltung der Artenvielfalt und Biodiversität auf den Almflächen. Werden Almen nicht beweidet, so nimmt der Bewuchs mit Zwergsträuchern, Erlen, Latschen, etc. rasch zu. Wenn Zwergsträucher und später Gehölze die Almflächen zurückerobert haben, sind diese Flächen als Äsungsmöglichkeit für das Wild verloren.
Aus diesem Grund nutzte Billiani alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten, um neue Äsungsflächen anzulegen, die sich über das gesamte Revier verteilen. Damit sorgt er für eine ausgewogene Raumnutzung des Rotwildes und reduziert „Hot Spots“ mit hoher Wildkonzentration. Alle Wiesen werden von ihm jährlich gemäht und gemulcht.
Seit 1989 begann Billiani zudem mit der Reaktivierung der früheren Almflächen. Durch das sogenannte „Schwenden“ wurden große, dicht bewachsene Bereiche wieder geöffnet. Unter Schwenden versteht man das Entfernen unerwünschten Bewuchses (Jungbäume, Gebüsch und Zwergsträucher) auf Weideflächen, um diese für grasfressende Tiere wieder attraktiv und nutzbar zu machen.
Die Almflächen in Billianis Revier sind dabei als einzelne eingezäunte Bereiche angelegt. Die ca. 40 Stück Jungvieh, die nun wieder jährlich zur Beweidung auf den Almen verweilen, werden im Verlaufe des Sommers alle drei bis vier Wochen auf eine andere Wiese umgetrieben. Durch diesen alternierenden Verlauf kann immer wieder frische Äsung für das Rotwild nachwachsen.
Von der Notwendigkeit der Ruhe
Über die Jahre wurde das Rotwild in Billianis Revier immer vertrauter und sichtbarer. Hochwertige Äsungsflächen wären allerdings alleine noch nicht ausreichend, um dies zu erreichen. Entscheidend für die Rückkehr zu einem natürlichen, tagaktiven Verhalten sind Ruhe und eine stressfreie Umgebung. Hierzu gehört auch der konsequente Jagdverzicht auf den der Wildäsung vorbehaltenen Flächen, denn Jagddruck führt immer zu Stress und Stress wiederum verhindert, dass Wildtiere ihrem natürlichen Rhythmus nachgehen. Die Naturverjüngung kann nur dann gelingen, wenn sich das Wild angstfrei bewegen kann und es bevorzugt, auf offenen Wiesen zu äsen anstatt im Wald zu stehen, um sich erst spät nach Einbruch der Dämmerung aus seinem sicheren Einstand heraus zu wagen. Als Billiani vor fast vier Jahrzehnten das Revier übernahm, war eine Naturverjüngung schlicht nicht vorhanden. Verbiss und Schäle waren stark verbreitet. Sogar die Fichte war davon betroffen. Heute stellt sich die Situation ganz anders dar. Die Vertrautheit und Tagaktivität des Wildes sowie seine Nutzung der offenen Äsungsflächen haben dazu geführt, dass in Billianis Revier 90% Naturverjüngung zu verzeichnen ist. Lediglich in Ausnahmefällen werden Lärchen und Fichten angepflanzt. Dies ist dann der Fall, wenn die Buche in der Naturverjüngung eine zu dominierende Stellung einnimmt.
Sobald die jungen Bäume eine Höhe von drei bis vier Metern erreicht haben, führt Billiani großräumige und umfassende Pflegemaßnahmen durch. Im Rahmen dieser Arbeiten werden ca. zwei Drittel der Jungpflanzen wieder zurückgeschnitten, damit die Wuchsbedingungen für lichtliebende Arten wie Fichte und Tanne verbessert werden können. Dabei kommen die junge Bäume ganz ohne Schutzmaßnahmen aus. Die Naturverjüngung ist derart üppig vorhanden, dass die Fraßeinwirkungen des Wildes, die später zu einem Schaden werden könnten, keine Rolle spielen.
Wie Billiani beobachten konnte, hat sich durch die großzügige und flächige Anlage von hochwertigen und ruhigen Äsungsflächen der Verbiss signifikant reduziert und Schälschäden kommen überhaupt nicht mehr vor.
Ohne die richtige Bejagung kein sichtbares Rotwild
Der große Absatz an technischer Aus- und Aufrüstung wie Nachtsichtgeräte, Infrarotkameras, Zielfernrohre mit lichtstarker Optik oder Gewehre mit Weitschusskaliber ist meines Erachtens ein Ausdruck unserer Hilflosigkeit im Umgang mit dem unsichtbar gewordenen Wild. Seine Verhaltensänderung als Reaktion auf den steigenden Jagddruck erschwert eine effiziente Bejagung massiv und hat eine verhängnisvolle Abwärtsspirale zur Folge. Es wird versucht, mit moderner Technik der Unsichtbarkeit entgegenzuwirken und den ausbleibenden Jagderfolg durch die Eroberung der nächtlichen Ruhe- und Rückzugsräume des Wildes zu kompensieren. Trotz weiter Entfernung und schlechten Lichtverhältnissen soll der Schuss möglich sein. Darunter leidet nicht nur die Lebensqualität des Wildes, sondern auch der Tierschutzgedanke. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass das Feindbild „Mensch“ für viele Wildarten derart präsent geworden ist, dass sie alles daran setzen, durch ein verändertes räumliches und zeitliches Bewegungsmuster der drohenden Gefahr auszuweichen. Dies entspricht dem Gegenteil von dem, was unser Ziel sein muss, nämlich dem Wild zu ermöglichen, seinem natürlichen Rhythmus zu folgen und seine ursprünglichen Bedürfnisse auszuleben. Das einzige, was wir durch den Einsatz von Nachtsichttechnik erreichen ist, dass das Wild sich noch heimlicher verhält, die Fluchtdistanzen noch größer werden und das Austreten noch später erfolgt.
Wichtigste Komponente von Billianis Bejagungskonzept ist es, unnötige Ruhestörungen und Stresssituationen für das Wild zu vermeiden. Die Bejagung konzentriert sich deshalb primär auf den kurzen Zeitraum von Oktober bis Dezember. Es versteht sich von selbst, dass davor eine Bejagung an den Äsungsflächen des Rotwildes absolut tabu ist. Im genannten Zeitabschnitt legt Billiani den Fokus in erster Linie auf den Kahlwildabschuss, den er strategisch über die Ansitz- und Pirschjagd ausführt. Drückjagden gehören ausdrücklich nicht zur Jagdstrategie. Eine Besonderheit stellt die Art und Weise dar, wie Hubert Billiani die Ansitzjagd umsetzt. Bei ihm wird größtenteils zu zweit angesessen und wann immer möglich, Tier und Kalb als Doublette erlegt. Dadurch wird verhindert, dass das Alttier durch den Verlust des Kalbes sowie die Erfahrung der Gefahrensituation sein Verhalten ändert und sich durch den entstandenen Jagddruck vermehrt in der Deckung aufhält. Außerdem handelt es sich beim Rotwild um eine sehr soziale und intelligente Wildart, die erlerntes Verhalten an das Rudel und seine Nachkommen weitergibt.
Billiani weist darauf hin, dass der größte Fehler meistens nach dem Schuss gemacht wird. Durch lautes und unmittelbares Repetieren der Büchse nimmt das Wild sofort wahr, woher der Schuss kam. Die Beunruhigung geht dann leider oft mit der viel zu raschen Bergung weiter. Anstatt dass der Schütze erst einmal abwartet (beim Morgenansitz eine Stunde), geht er nicht selten viel zu zügig nach der Schussabgabe zu Fuß zum erlegten Stück. Billiani empfiehlt stattdessen die Bergung ausnahmslos mit dem Fahrzeug durchzuführen, denn es muss unter allen Umständen vermieden werden, dass das Rotwild den Menschen mit dem Schuss in Verbindung bringt. Das Rotwild ist intelligent genug, um Gefahrenquellen sehr genau zu identifizieren und einzuordnen – Vor lauten Fahrzeugen fürchtet es sich normalerweise nicht. Nur so kann die Vertrautheit des Wildes und damit auch die Möglichkeit der klaren und sicheren Ansprache erhalten bleiben.
Fütterung als Ort des Rückzugs und der Überwinterung
Wintergatter sucht man bei Hubert Billiani vergebens. Er betreibt stattdessen zwei freie Rotwild-Fütterungen. Diese werden von Mitte Oktober bis Ende April großzügig und immer vormittags beschickt. Das führt dazu, dass sich das Wild den ganzen Tag an der Fütterung aufhalten kann und immer genügend Nahrung vorfindet. Auch Stücke, die erst später im Tagesverlauf die Futterraufen aufsuchen, sollen noch reichlich Nahrung vorfinden. Dieses Angebot „bindet“ das Rotwild an den Fütterungsstandort und macht die Fütterung zu einem funktionierenden Wildlenkungsinstrument, das dabei hilft, Schäden im Wald zu verhindern. Voraussetzung ist auch in diesem Fall absolute Ruhe in einem großzügigen Radius rund um den Standort der Fütterung. Generell gilt es im Winter, kräftezehrende Fluchten, die durch Beunruhigungen ausgelöst werden können, unter allen Umständen zu verhindern. Das Wild befindet sich in der kalten Jahreszeit im energetische Minimalmodus und hat seinen Energiehaushalt heruntergefahren, um Kräfte zu sparen und dadurch sein Überleben zu sichern.
Hubert Billiani, ein Mann mit Visionen und klarem Menschenverstand, der zeigt, dass Wald mit Wild möglich ist! Mit dieser Einstellung bekleidet er eine Vorbildfunktion, die Aufmerksamkeit und Nachahmung verdient.